Phyllis Krystal Methode zur Stressbewältigung in der Grundschule
Bericht von Dr. Agnes Ziegler
Phyllis Krystal hat immer wieder betont, dass die heutigen Kinder unsere Unterstützung bräuchten, damit sie den Wandel in der Welt hervorbringen können, den wir so dringend brauchen. Auch dass viele schwierige Kinder uns eigentlich aufzeigen, wo das System geändert werden soll.
Zitat Phyllis: „On the inner level it was shown that this new type of children is coming in with a definite purpose, which most of them are aware of. They have come in to help to change the world and let go of the past difficulties and problems and the present very negative situation that we are all facing and bring about an entirely different kind of life. A life that is much more loving and creative, much more joyful and also much more cooperative between individuals but also between nations. Many of these children even when they are quite young are very much aware of this mission. Many of them say:“ I want to make a difference in the world before I die“. They are not yet clear on how they are going to do that. So we have to help them to find out in cooperation with us, not in opposition to us. That seems to be the secret. We need to work together with these new children to bring about a much more positive future. But this is not being emphasized at present, except in rare cases. So we need a certain plan to find out what these children have to give to us. So instead of the usual way we used in the past, like projecting on to them and wanting from them to be what we want them to be, what we want them to do, we need to find out what they have to offer. And it will often be very different from what we have been used to in the past. So we need to be much freer, much more resilient, much more tolerant, but that does not mean that there should be no rules or regulations at home or at school.“ (Phyllis 2009)
Seit einiger Zeit unterstütze ich als Lern- und Lesepatin Kinder an einer Grundschule. Durch die persönliche Beziehung und individuelle Betreuung wird ihre schulische und individuelle Entwicklung gefördert. In meiner beruflichen Tätigkeit (Zahnärztin u. Coach) habe ich die Phyllis-Krystal-Methode bei Angst und stressbedingten Erkrankungen immer wieder mit Erfolg eingesetzt; die Patienten schätzten diese Befähigung zur Selbsthilfe sowie ihren Gewinn an Selbsterkenntnis und Autonomie. Diese gute Erfahrung hat mich veranlasst, der Schulleitung ein Pilotprojekt vorzuschlagen. Ich hatte bei vielen Kindern im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Wechsel auf eine weiterführende Schule starke Unsicherheit und Ängste bemerkt. Das Ziel des Projektes war, die Kinder anders vorzubereiten und zu wappnen, sodass sie den Schritt mit mehr Zuversicht gehen können. Sie sollten ein Grundwissen zum Thema Stress bekommen, vor allem aber verschiedene Methoden der Selbsthilfe kennenlernen.
Ab Schuljahresmitte besuchte ich wöchentlich 4 Klassen (4. Grundschuljahr, ca 95 Kinder). Schnell zeigte sich ein unerwartet entscheidender Faktor: Die Tatsache, dass ich keine Lehrperson bin oder Noten vergebe, bewirkte, dass viele Kinder sich vertrauensvoll öffneten und über ihre Probleme sprachen. Neben dem Schulwechsel mit allen anstehenden Entscheidungen war die beginnende Pubertät eine zusätzliche Herausforderung für sie.
In allen Klassen fand ich vielfältige Stresstrigger und Lernhindernisse vor: häufig hohe Lärmpegel, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Disziplin, unzureichende oder gar fehlende Sprachkenntnisse, mangelndes Wortverständnis, häufig Kinder mit Migrationshintergrund. In fast jeder Klasse gab es Kinder mit einem speziellen Betreuungsbedarf (Inklusion). Die Lehrpersonen sind ebenfalls großem Druck von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Aus den Angaben der Kinder war aber deutlich erkennbar, wie sehr das Ausmaß ihres Stresserlebens korreliert mit der Persönlichkeit der Lehrperson sowie mit Disziplin und Atmosphäre in der Klasse.
Folgende Themen wurden besprochen:
- Achtsamkeit
- Was ist Stress und wie erleben die Kinder Stress
- Was können sie tun, um sich zu helfen
- Wie kann die Phyllis Krystal Methode helfen
Das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Urteil bei der Entstehung oder Vermeidung von Stress wurde erlebnisorientiert vermittelt. Der Zugang zu allen Themen erfolgte möglichst spielerisch und eindrücklich für die Kinder. Wir besprachen einige Gefühle und belastende Einstellungen und sie erlernten verschiedene Körper-Übungen zum Abbau von Spannung.
Phyllis Krystal hat immer gesagt: „ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“. Die Kinder haben alle vorgestellten Symbole und Übungen sehr schnell und intuitiv verstanden. Die Übungen wurden auf der einfachen Basis des „Minibuch zur Methode“ vermittelt.
Sehr erfolgreich war von Anfang an die Übung zum Ausgleich der beiden Hirnhälften. In praktisch jeder Schulpause gibt es Unfälle mit Verletzungen oder Streitfälle, die mit Anklagen und Tränen einhergehen. Häufig gehört dann ein Gang ins Lehrerzimmer dazu oder der Beginn der Folgestunde verzögert sich, weil der Lehrer schlichten soll. Diese Übung brachte die betroffenen Kinder schnell in einen „verhandlungsfähigen“ Zustand. Sie können sich dann besser mitteilen und sind aufnahmefähiger für Lösungen. Mitschüler können sogar helfen, diese Übung auszuführen, wenn das geschädigte, aufgeregte und weinende Kind nicht dazu in der Lage ist.
Die Übung Goldener Kreis: Der Kreis wurde mit gelben Seilen auf dem Boden im Klassenzimmer ausgelegt. Die Kinder durften sich setzen, legen, was immer sie besser ein Gefühl für den eigenen Raum spüren ließ. Bei manchen Kindern konnte ich wahrnehmen, wie gut ihnen die Idee eines eigenen Territoriums tat. Ein Kind mit ADHS störte mit seinem Verhalten immer wieder den Unterricht. Es hüpfte zunächst in seinem Kreis wie ein Hase. Als ich sagte: „Du darfst (!) auch ganz ruhig sitzen“ saß es tatsächlich bis zum Ende der Schulstunde vor der Klasse (der übliche Platz war ganz hinten in der Klasse). Diese Übung wird seitdem von der Inklusionsbetreuerin regelmäßig angewendet und bringt eine gewisse Erleichterung.
Der Zylinder verschaffte eine verstärkte Abgrenzung, auch gegen den Lärm. Einige sehr sensible Kinder mochten dieses Symbol und lernten, es anstatt der gebräuchlichen Kopfhörer zu nutzen. Das Symbol wirkte „im Geheimen“, die anderen können es nicht sehen wie die Kopfhörer.
Die Figur 8 war schnell beliebt, um sich gegen nervende Geschwister durchzusetzen oder gegen unliebsame Bank-Nachbarn. Ein Mädchen erzählte lächelnd, dass ihr nervender Bruder sagte: „Du machst etwas mit mir, das merke ich, was ist das?“, aber sie habe es nicht erzählt und die Methode würde „supergut“ helfen. Einige Kinder erlebten die Nachmittags- Betreuung im Hort als großen Stress. Sie beschwerten sich über fehlenden Respekt und Ungerechtigkeit der Betreuer. Hier war die Figur 8 wenigstens als Erst-Maßnahme hilfreich, neben der Klärung weiteren Vorgehens und neuer Verhaltensweisen. Einige Betreuungspersonen berichteten, dass die Figur 8 den Umgang mit schwierigen Kindern erleichtert, wie auch mit Kollegen – wenn sie denn daran denken, sie anzuwenden.
Der Strandball gegen Angst half u.a. beim gefürchteten Gang in den dunklen Keller, bei nächtlichen ungewohnten Geräuschen, bei angstauslösenden Situationen auf dem Schulweg. Die Kombination mit der Figur 8 war eine sehr wirksame Maßnahme, wenn Kinder körperlich angegriffen wurden, bei sonstigen Schikanen wie Beschämungsattacken oder Hänseleien.
Zur besseren Konzentration, z.B. vor Hausaufgaben oder einer Klassenarbeit, war das Symbol für den Affenverstand sehr eindrücklich. Viele Kinder kannten bereits von zuhause ein Maßband. Ich hatte auch ein Maßband dabei zum Ausprobieren.
Insgesamt schienen Mädchen viel empfänglicher für die Methode. Oft kamen sie auf dem Schulflur auf mich zu: „was lernen wir als Nächstes, wann kommst du wieder zu uns?“ oder sie stellten Fragen zu persönlichen Problemen. Sehr berührt hat mich das Vertrauen und die Not einiger Kinder. Ein Junge wollte wissen: „Was kann ich tun, wenn meine Mama weint?“ Mädchen fragten: „Was kann ich tun, wenn ich mich schäme?“, oder „Was kann ich tun, wenn ich traurig bin?“ Der Umgang mit einigen Grundgefühlen wurde allgemein besprochen; individuellere, problembezogene Fragen konnten häufig im persönlichen Gespräch geklärt werden.
Aber es gab auch skeptische Kinder, besonders wenn nicht sofort nach der ersten Übung sich Erfolg zeigte oder ein gewünschtes Ergebnis spürbar war. Sie verstanden aber schnell, dass sie alltägliche Fertigkeiten oder ihre sportlichen Hobbies auch nur durch wiederholtes, geduldiges Üben erlernt haben. Etliche Kinder zeigten eine starke, generelle Erwartungshaltung (Jungen mehr als Mädchen); diese schien mir geprägt durch die elektronischen Medien und dass dort per Knopfdruck anstrengungsfrei und schnell Veränderung möglich ist. Nicht wenige der Kinder spielen täglich Computer-Games („Zocken“), teilweise bis spät abends oder viele Stunden an den Wochenenden. Oder sie pflegen Bekanntschaften mit Menschen, die sie oft noch nie persönlich gesehen haben. Die Kinder haben ihren daraus erwachsenden Stress selbst präzise benannt, können ihn aber selten noch kontrollieren.
Eine angepasste Version der Baum Übung war für alle eine tiefgehende Erfahrung. Die Kinder malten zuerst ihren Baum und dann bat ich sie, daneben zu schreiben, was sie brauchen bzw. was sie während der Übung eingeatmet haben. Einige Kinder schrieben: „ich brauche nichts,“ oder „ich brauche meine Familie“. Nicht wenige schrieben aber genau, was auch Phyllis Krystal uns immer wieder berichtete (Originalzitate):
„Ich wünsche mir, dass meine Eltern Zeit mit mir verbringen“, “dass sie mehr mit mir spielen“, „dass mein Papa mich liebhat und mich beschützt“, „dass meine Mama nicht immer schreit mit mir und ich weiß dann nicht, was sie will“, „ich verstehe meinen Vater gar nicht, sie ( die Eltern) müssten mir bei den Hausaufgaben helfen und Sachen erklären“, „weniger Streit zuhause“., „dass Mama mich sieht, und nicht nur meinen Bruder“.
Der bereits zuvor erwähnte Junge mit ADHS kritzelte zuerst einen Baum, dann malte er mit Hilfe der Betreuerin einen schöneren, bunten Baum. Auf meine Frage, was er denn braucht, wollte er zuerst nichts sagen. Als ich ihn ermutigte, meinte er, er könne es nicht auf sein Gemälde schreiben. Ich schlug ihm vor, es auf die Rückseite zu schreiben. Dort las ich dann in krakeliger Schrift: LIEBE und VERTRAUEN.
Das Feedback der Kinder zum Abschluss des Projektes war durchgängig sehr positiv: Es hat ihnen Freude bereitet, etwas zu lernen, bei dem sie sofort den praktischen Wert erkennen konnten; etwas, was sie befähigt zur Selbsthilfe, nicht nur im schulischen Kontext. Ihre Selbstwirksamkeit, Autonomie, aber auch Eigenverantwortung wurden gestärkt. Stolz haben viele berichtet, wie sie sich in bestimmten Situationen nun anders verhalten oder schützen können.
Mein Fazit: Nach meinem Eindruck hat das gesamte Projekt, aber insbesondere die Phyllis Krystal Methode ihr Selbstvertrauen sehr gestärkt und auch ihre Zuversicht für den anstehenden neuen Lebensschritt.
